„Jene Augenblicke, in denen der Mensch sich seiner selbst bewußt wird, haben seiten etwas Erhebendes.
„Wer bin ich?“,
„Woher komme ich?“,
„Wo stehe ich?“,
„Wohin ziele ich?“,
sind Fragen, die Körper und Geist bedrängen. Überzeugende Antworten können weder Kopf, noch Hand sofort begreifen. Es ist wie ein Blickfang in das absolute Nichts.“
Dr. Elisabeth Krimmel
Die Selbstbildnisse des Rainer Lind
Schöpferische Menschen überwinden den nihilistischen Standpunkt durch eine Art von zweiter Menschwerdung. Unbezwinglich erscheint ihr Drang, aus sich herauszutreten, nach Bergung zu suchen, sich in der Welt neu zu verankern. Dem künstlerischen Prozeß entspricht der Widerstand des praktischen Daseins.
Zeichen setzen durch Be-zeichnen
Zeichnen im Sinne von zeichenhaftem Festhalten von Formen und Gestalten in Linie und Fläche ist eine sehr ursprüngliche Betätigung des Menschen. Sie ist für ihn von lebensnotwendiger Bedeutung. Ein Blick zurück in die frühe Geschichte der Menschheits-Kultur erweist das ebenso wie die Betrachtung menschlicher Entwicklung im Kindesalter. Handzeichnungen wie sie unserer heutigen Vorstellung entsprechen, haben ihre Ausprägung im Mittelalter erfahren, Ihre Stilisierung geschah in der Neuzeit. Was damit genau gemeint ist, präzisierte der Maler Max Liebermann um „die Jahrhundertwende: „Man hat oft gesagt, daß die Zeichnung uns in die Werkstatt des Künstlers führe, aber sie fährt uns weiter bis ins Innerste seiner Persönlichkeit.“
Die Offenheit vieler zeichnerischer Formen grenzt dieses Medium deutlich gegen andere ab. Nur einzelne Aspekte einer Form werden wiedergegeben. Wesentliches wird markiert, alles andere entfällt. Das kann bedeuten: die Phantasie des Betrachters kann oder darf die Seh- und Gestalterfahrungen des Zeichners ergänzen. Die bewußte Auswahl der Formen, der unbewußt freigesetzte Bewegungsrhythmus der zeichnenden Hand und ihre Eigengesetzlichkeit verschmelzen zu einer höheren Einheit. Die Suggestionskraft des Ganzen erschließt dem Betrachter der vielgestaltige Anatomie der Zeichnung. Je nachdem, ob sie zart oder heftig, schwungvoll oder zögernd, durchgehend oder unterbrochen, zittrig oder exakt gesetzt, immer übermittelt sie eine Vielzahl von Empfindungen und Signalen. Sie wird wahrgenommen, ohne daß Augen oder Verstand sofort im einzelnen darüber Rechenschaft ablegen.