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SIMONE“ … als die beiden mit dem Bild dieses jungen Opas konfrontiert wurden, merkte man sofort, dass eine emotionale Rührung da war – ganz klar.
Sie hatten ihren Vater in so jungem Alter auf einer Aufnahme auch noch nie gesehen. Ich glaube, dieser Moment begann, als wir die allererste Tafel sahen, auf der mein Opa abgebildet war – ein super attraktiver junger Mann Anfang 20. Da waren wir alle erst einmal erstaunt, weil er einfach so wahnsinnig gut aussah.
Gleichzeitig hat es natürlich auch Emotionen ausgelöst. Denn es ist einfach ein junger Mensch – niemand, der bereits Narben, seelische oder sichtbare, im Gesicht trägt, wie man sie später auf Bildern von meinem Opa wahrnehmen konnte. Es war ein junger Mann, der Hoffnungen, Überzeugungen und Träume hatte.
Meine Mutter sagte nur: „Oh, was für ein schöner Mann.“ Meine Tante reagierte genauso: „Oh!“ Und ich dachte genau dasselbe. Wirklich ein wahnsinnig schöner Mensch, tolle Augen, einfach beeindruckend. Meiner Mutter und meiner Tante hat das regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen. Man hat sich danach erst einmal die ganze Zeit darüber unterhalten.
Man kommt in diese Ausstellungshalle im Staatsarchiv Darmstadt, steht als kleiner Mensch da, alles wirkt sehr surreal. Ich glaube, meine Mutter und meine Tante empfanden es genauso; sie waren erst einmal sehr überrascht.
Später waren wir noch Kaffee trinken und Kuchen essen. Es ist eine Situation, die, glaube ich, man erst einmal nicht einordnen kann, wenn man geschockt oder total überrascht ist. Meine Mutter erzählte mir später, dass sie auf der Heimfahrt von Darmstadt nach Hause vom Erlebnis eingeholt wurde und ziemlich stark geweint hat.
Oben auf dem Berg in Ober-Ramstadt sah sie dann einen riesigen Regenbogen, der so leuchtend war, wie sie ihn selten in ihrem Leben gesehen hatte. Sie sagte nur: „Ja, irgendwie war das für mich wie ein Zeichen.“
Simone spricht in dem Podcast über ihren Großvater: Johann Dieter** wird am 10. Mai 1908 in Arheilgen bei Darmstadt geboren. Er erlernt den Beruf des Weißbinders (Maler) und schließt sich der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) an.
Nach der „Machtergreifung“ wird Dieter wegen des „Verdachts der Verbreitung illegaler Schriften“ am 26. Juni 1933 in das Konzentrationslager Osthofen verschleppt und dort für etwa eine Woche festgehalten. Doch nach seiner Entlassung bleibt er nicht lange frei: Mehrmals werden Dieter und seine Mitkämpfer wegen „anarchosyndikalistischer Umtriebe“ verhaftet, misshandelt und in Darmstadt und Butzbach inhaftiert – bis schließlich die FAUD weitgehend zerschlagen ist.
Im November 1935 verhängt das Oberlandesgericht Darmstadt mehrjährige Zuchthausstrafen gegen elf Anarchosyndikalisten – unter ihnen Johann Dieter. Am Tag seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Marienschloß, es ist der 15. Juli 1937, holt ihn die Gestapo ab. Es folgen Jahre in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen, in denen er den Gewaltexzessen der SS, der Zwangsarbeit in Außenlagern und medizinischen Experimenten ausgesetzt ist. Nach seiner Befreiung am 5. Mai 1945 kehrt er in seine Heimat zurück, er heiratet und wird Vater von zwei Töchtern. In einem mehrjährigen Wiedergutmachungsverfahren wird ihm eine Entschädigung als politisch Verfolgter und eine kleine Rente zugestanden. Die lange Haftzeit – er war mehr als elf Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern – macht ihn zu einem Invaliden. Johann Dieter stirbt am 10. März 1971 in Darmstadt.
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