JOACHIM: „Und meine Neugier war eben durch die Kenntnisse von der Leipziger Hochschule befriedigt, und ich wollte woanders hin. Das heißt, ich habe auch meine Kindheit zur Hälfte in Dresden verbracht, zumindest in den vielen Ferienzeiten, in denen wir viel in Pillnitz waren, wo Verwandte lebten. Wir wurden 1943/44 ausgebombt und gingen nach Dresden, um dann auch noch den 13. Februar 1945 zu erleben.
Glücklicherweise waren wir am Rand der Stadt in Klotzsche, sonst hätten wir wahrscheinlich etwas abgekriegt. Dresden war für mich der Inbegriff von Harmonie – mit der Elbe, dem Naturstein und dem Sandsteingebirge. Das war ein Faszinosum. Auch die Geschichte dieser Stadt, die barocken Reste, haben mich schon als Kind beeindruckt.
Was man dort fand und sah, fand ich beeindruckend. Zum Beispiel: Ab 1956/58 gab es die Sempergalerie wieder, und da kehrten die requirierten Kunstwerke aus Moskau und Leningrad zurück, darunter die Sixtinische Madonna und Werke von Rembrandt. Diese Kunstwerke waren für mich schon als Kind aufregend.
Ich habe eine doppelte kulturelle Vergangenheit. Zum einen in Leipzig, mit der frühen Begegnung mit Bach und seiner Musik. Meine Mutter und mein Vater sind im Krieg geblieben. Meine Schwester lebte mit ihren Kindern zusammen, und wir waren dann also zu dritt. Wir gingen oft in die Thomaskirche, wo Bach begraben ist, und hörten Bach-Oratorien, das Weihnachtsoratorium und vieles mehr. Ein Freund von uns, dessen Bruder Thema war, führte uns ebenfalls zur Musik. Das war die musikalische Seite.
Dann kamen vier Jahre Klavierspielen hinzu, weil meine Mutter sagte: „Du musst sowas mal machen“, zwischen zehn und vierzehn Jahren, egal, ob es sinnvoll ist oder nicht.
In der Leipziger Straße gab es das ehemalige Luftwaffenministerium von Hermann Göring, später das Haus der Ministerien der DDR. Dort gibt es ein großes Kachelbild, gemalt auf Meißner Kacheln, das von Max Klinger gestaltet wurde. Was waren das für Themen nach diesem gigantischen Krieg und der Zerstörung? Es ging um Freiheit, Frieden, Sozialismus, Solidarität, Zorn – reine Propaganda. Diese Dinge sollten sich an die Werktätigen und die Bevölkerung richten, hatten aber oft eher einen abschreckenden Effekt.
In der DDR gab es die Absolventenvermittlung. Wenn man nicht an der Hochschule verbleiben konnte oder wollte, gab es die Möglichkeit zu entscheiden, wohin man gehen würde. Ich wollte nicht in Dresden bleiben, das kannte ich schon. Ich wollte woanders hin, etwas Neues erleben. Der Thüringer Raum interessierte mich immer, besonders Jena und Weimar, die Klassik und die Philosophen.
Wir waren Freunde, die dann zu dritt sagten: „Gehen wir doch mal nach Jena.“ Es war eine Universitätsstadt, es gab das Zeiss-Kombinat, Wissenschaftsinstitute, und die Stadt war klein und überschaubar. Vielleicht würde dort etwas passieren. Das war allerdings ein Riesenirrtum …“
Joachim Kuhlmann im Interview mit Rainer Lind / 2013