Waltraud Hock, ein Beitrag in der aktuellen Ausstellung „Zwischen Nonkonformität und Widerstand“ im Hessischen Staatsarchiv, Wirsbaden

Nachdem die Ausstellung NONKONFORMITÄT UND WIDERSTAND *** dieses Jahr im Max-Mannheimer-Studienzentrum in Dachau, im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt und in der Gedenkstätte KZ Osthofen gezeigt wurde, wird die nun um Biografien aus dem Wiesbadener Raum ergänzte Ausstellung von November 2024 bis Februar 2025 im Hessischen Hauptstaatsarchiv erneut zu sehen sein.

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Waltraud Hock und ihre Familie passen nicht in das Menschenbild des NS-Regimes. Sie wollte Freiheit und Freude im Leben sowie bei der Arbeit. Im NS-Staat galt sie als asozial, ihr nonkonformes Verhalten als Verbrechen, das mit dem Tod bestraft wurde.

Waltraud Hock wird am 8. Oktober 1922 in Biebrich am Rhein unehelich geboren. Es heißt Lina Baumgartner, ihre Mutter, habe fast jede Nacht die Kaserne der amerikanischen Besatzungssoldaten besucht und Waltrauds Vater sei ein schwarzer Amerikaner. Geheiratet hat Lina Baumgartner dann den als Kommunisten bekannten Karl Philipp Bleidner. Waltraud bleibt das einzige Kind in der Familie, deren Ruf auch deshalb schlecht ist, da diese „keinen Hehl machte“, ihre Abneigung gegen den „Diktaturstaat des dritten Reichs“ zu zeigen. Am 9.10.1933 wird Karl Bleidner unter dem Vorwand, gewildert zu haben, von der Gestapo verhaftet.

Er stirbt noch am gleichen Tag im Polizeipräsidium Wiesbaden. Angeblich habe er sich selbst aus Angst vor Bestrafung in einer Zelle erhängt. Doch die Todesumstände werden weder korrekt noch sorgfältig untersucht. Selbst nach 1945 werden sie nicht richtiggestellt, obwohl ein Täterdokument aus dem Jahre 1941 existiert, in dem explizit von „politischer Schutzhaft“ die Rede ist. Auch das Umfeld der Familie zweifelt eine Selbsttötung stark an. Martin Hörner, ein Bekannter der Familie, schreibt, „selbst der damalige in Wiesbaden amtierende und um Untersuchung angegebene Staatsanwalt [verleugne] seine von oben gegebenen Weisungen nicht“.

Nach dem Tod Karl Bleidners werden Lina und später auch Waltraud Triebhaftigkeit sowie freizügige sexuelle Beziehungen vorgeworfen. Außerdem sei Waltraud „Lesbierin“. Wahrscheinlich wird sogar eine Verhaftung deswegen angestrebt, aber es fehlen ausreichende Beweise. Gleichzeitig gilt Lina Baumgartner als liebevolle und fürsorgliche Mutter.

„Frau Hock war eine junge naive harmlose Frau,
aber da man viel Interesse daran hatte,
die Familie auszurotten,

musste sie ihr Leben lassen“
Elfriede Bodem, nach 1945

Waltraud fällt die Schule schwer. Sie wiederholt die zweite Klasse. Ihre Ausbildung zur Verkäuferin bricht sie ab. Sie heiratet mit 16 ½ Jahren Peter Hock, einen Wehrmachtssoldaten. Am 05.08.1940 wird ihre Tochter geboren. Im Dezember 1940 wird sie wegen eines Diebstahls von 20 RM mit zwei Wochen Haft bestraft. Anfang 1941 wird die Ehe schuldig geschieden und das Kind kommt zu Peter Hocks Eltern. Währenddessen sucht Waltraud nach einer Arbeit, die sie mag, probiert es als Serviererin. In ihrem Lebenslauf spricht sie davon, dass sie nach einem 3/4 Jahr „auf einmal keinen [S]paß gehabt“ habe und 3-4 Wochen keiner Tätigkeit nachgegangen sei. Als sie hört, dass Schaffnerinnen gesucht werden, ergreift sie die Initiative. Doch auf dem Arbeitsamt wird ihr der Berufswunsch nicht gewährt. Stattdessen soll sie „Landarbeit“ leisten und damit Tätigkeiten, die ihr nicht liegen und gefallen. Laut ihrem handschriftlichen Lebenslauf, gibt ihr die Bäuerin daraufhin den Rat, „man solle mit Liebe an die Arbeit gehen.“ Waltraud Hock tritt daraufhin den Arbeitsdienst nicht an.

„Ich beabsichtige, die in der dortigen Strafanstalt einsitzende Waltraud Hock nach ihrer Strafverbüssung in ein Frauen K.Lager zu überführen. Zu diesem Zwecke bitte ich, sie mir erneut zu überstellen und mittels Sammeltransport in das Polizeigefängnis Wiesbaden zu verschuben…“
Staatliche Kriminalpolizei, Wiesbaden 3.12.1941

Am 08.10.1941 wird Waltraud Hock verhaftet und wegen „Arbeitsverweigerung “ aus „moralischer Verkommenheit“ zu drei Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Kurz nach Haftbeginn schickt die Oberin des Frauenjugendgefängnisses Frankfurt Preungesheim an die NSV Jugendhilfe die Mitteilung, dass Waltraud Hock nach ihrer Entlassung landwirtschaftliche oder Fabrikarbeit leisten solle, „damit sie den Wert auch der kleinsten Arbeit schätzen lernt“. Während der Haft notiert sie, Waltraud füge, „sich gut in den festen Anstaltsbetrieb ein“, habe eine „gute Führung und Arbeitsleistung“. Auch bestätigt Waltraud selbst schriftlich, dass sie nach Entlassung, sofort einer Arbeit nachgehen werde. Gleichzeitig heißt es, ihre Mutter, bei der sie lebt und ihr eigenes Zimmer hat, unterstütze sie „in jeder Hinsicht“. Trotzdem wird in einem Bericht der Jugendhilfe von Mitte November festgehalten „eine Besserung sei nicht zu erwarten“, „sie habe in ihrer Mutter niemals ein Vorbild“ und „eine Unterbringung in einem Arbeitshaus oder Arbeitslager“ werde befürwortet.

Entlassungsverhandlung, 16.12.1941 – Transkription Freitext
sehr bedrückt, da sie nach Entlassung einem
Lager zu geführt [?] wird.
Arbeitsleistung und Führung inner-
halb der Anstalt waren gut.


Während Waltrauds Zeit im Frauenjugendgefängnis Frankfurt Preungesheim schreibt Lina Baumgartner ihrer Tochter regelmäßig. Wenn sie verhindert ist, versuchen andere, Waltraud mit ihren Zeilen emotional zu unterstützen und zu stärken:

„Wiesb. 31.10.1941
Liebe Waltraud!
Nun ist Deine Zeit ja auch bald um und Du bist wieder hier. Deine liebe Mutti hat uns Deinen Brief zu lesen gegeben. Karl und alle Bekannte sind noch nach wie vor hier und sobald der Stern von Rio gespielt wird, fällt der Name Waltraud. Wir alle denken sehr viel an Dich, aber im Leben geht alles vorüber. Sonst gibt es nicht viel Neues hier.
Für heute sei herzlich gegrüßt von Tante A.“

Kurz vor Weihnachten schickt die Mutter einen besorgten Brief an die Gefängnisdirektion. Denn Waltraud ist nach Ende ihrer Haft am 17.12. nicht nach Hause gekommen und wird von der Mutter vermisst. Sie erhält als Antwort, dass ihre Tochter nach Haftende der Polizei überstellt werden musste. Sie wurde am 17.02.1942 ins Frauenkonzentrations- und Arbeitslager Ravensbrück verschleppt. Als Grund für ihre Inhaftierung wird „assoz.“ (asozial) in der Akte notiert. Am 20. März 1943 wird sie in Auschwitz ermordet.

Seit 1952 kümmert sich Lina Baumgartner um ihre Enkelin. Außerdem versucht sie, Rente und Entschädigung zu beantragen. Sowohl ihr Mann als auch ihre einzige Tochter wurden aus politischen Gründen ermordet. Sie selbst bekam eine dreimonatige Haftstrafe, da sie Kriegsgefangene unterstützte. Doch im Entschädigungsverfahren reichen die von ihr eingereichten Angaben und Belege nicht aus. Es werden immer weitere Beweise verlangt. Schließlich bricht die Korrespondenz mit der Entschädigungsbehörde ab.

„Frau Hock war das einziges Kind eines linksorientierten Ehepaares, welches auch nach dem 30. Januar 1933 aus seiner Abneigung gegen den Diktaturstaat des dritten Reiches keinen Hehl machte. […] Frau Hock, eine einfache unkompliziert denkende, völlig naive und lebensbejahende Frau, wurde das Opfer eines völlig rechtlosen Gewaltsystems, welches hier unter der verlogenen Formel Wilderer und Wilderertochter ein Drittel einer angesehenen und arbeitsamen, antifaschistischen Familie ausrottete.“
Martin Hörner, 4.12.1956

Handschriftlicher Lebenslauf von Waltraut Hock vom 26.10.1941, formuliert während ihrer Haft in Frankfurt Preungesheim.


Abbildungen
HHStAW 409 Nr. 5780
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Quellen
HHStAW 409 Nr. 5780
HHStAW 518 Nr. 6832 / Nr. 16554
Arolsen Archives DocID 129642994


Nachdem die Ausstellung NONKONFORMITÄT UND WIDERSTAND *** dieses Jahr im Max-Mannheimer-Studienzentrum in Dachau, im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt und in der Gedenkstätte KZ Osthofen gezeigt wurde, wird die nun um Biografien aus dem Wiesbadener Raum ergänzte Ausstellung von November 2024 bis Februar 2025 im Hessischen Hauptstaatsarchiv erneut zu sehen sein.

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