MANFRED SOMMER 2019: „Ich meine, über kurz oder lang wird alles, was technisch machbar ist, auch tatsächlich umgesetzt. Ob das gut oder schlecht ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich denke jedenfalls, dass der Austausch von Meinungen im Internet immer einseitiger wird. Das ist sicherlich eine Tatsache. Und dass dies verschiedene Rückkopplungseffekte hat, ist auch klar.
Aber um es mal ins Unreine zu sagen: Die Gefahr des Missbrauchs des Internets ist in den letzten 20 Jahren stark gestiegen. Es bräuchte eigentlich eine Art ethische Mindestnorm, um Auswüchse zu vermeiden. Wer diese ethischen Prinzipien vermitteln soll oder wie umfassend sie gelehrt werden müssten, kann ich jetzt spontan nicht sagen. Aber aus meiner Sicht gehört das jedenfalls zu allem, was mit Informatik und Internet zu tun hat: Es sollten gewisse ethische Grundsätze vermittelt und sichtbar gemacht werden.“
MANFRED SOMMER 2019: „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die das Internet in seiner jetzigen Form erfunden haben, ursprünglich davon ausgingen, dass es ein freiwilliges Netz unter „guten Leuten“ wäre. Sie dachten nicht daran, dass praktisch jeder – und damit auch „böse Geschichten“ – Zugang dazu haben könnte. Damit haben sie schlicht nicht gerechnet.
Und genau das ist jetzt ein Problem. Wenn man beispielsweise kriminelle Aktivitäten im Internet sieht, merkt man schnell, dass es für die Täter Möglichkeiten gibt, Server irgendwo zu verstecken, wo niemand Zugriff hat. Dort sammeln sie Dinge, die sie nicht sammeln sollten, oder verbreiten Informationen, die nicht verbreitet werden sollten. Solche Möglichkeiten sollten eigentlich abgeschafft werden – wie das jedoch konkret gehen soll, weiß ich auch nicht.
Ein Patentrezept habe ich dafür nicht. Ich bin auch der Meinung, dass ein vollständig kontrolliertes und überwachtes Internet keine Lösung wäre. Aber dass das Internet so vollkommen frei bleibt wie früher, ist auf Dauer sicher nicht sinnvoll. Es müsste irgendeine Art Kontrollmöglichkeit geben, um Beleidigungen oder kriminelle Inhalte aller Art auszuschließen.
Außerdem sehe ich die Gefahr, dass die großen Monopole – wie Google, Amazon und ähnliche Unternehmen – eine immense Macht haben, die Weltöffentlichkeit zu beeinflussen, sei es positiv oder negativ.
Stellen Sie sich vor, ein Internetgigant würde sich dafür einsetzen, eine extrem rechte oder linke Ideologie zu unterstützen. Diese Macht könnte dann die Zustimmung für eine solche Richtung erheblich steigern.
In Bezug auf meine Enkelin denke ich, dass meine Fantasie dafür gar nicht groß genug ist. So schnell, wie sich die Welt in den letzten 20 Jahren verändert hat, wird sie sich bis dahin wieder völlig anders darstellen. Vor 15 Jahren hatte niemand ein Smartphone, und heute besitzen Milliarden Menschen eines. Sie erledigen damit alles, was man früher auf einem Computer gemacht hat.
Ich habe keine Ahnung, was in weiteren 15 Jahren sein wird – vielleicht laufen dann alle mit künstlicher Intelligenz herum oder etwas Ähnlichem. Aber wovor genau ich Angst haben müsste, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht.“
Manfred Sommer wurde am 13. Januar 1945 geboren. Von 1950 bis 1955 besuchte er die Grundschule in Frankfurt, anschließend das Gymnasium in Königstein im Taunus. Sein Studium begann er 1964 in Göttingen, wo er bis zum Vordiplom 1966 Mathematik studierte, und setzte es bis 1969 in München fort, wo er sein Diplom abschloss.
In dieser Zeit wurde an der TU München das erste deutsche Institut für Informatik gegründet. Von 1969 bis 1974 war Sommer dort Assistent und beschäftigte sich intensiv mit der damals noch neuen Disziplin Informatik. Er arbeitete vor allem mit ALGOL 68 auf einem Rechner namens TR4. Bereits während seines Studiums hatte er Programmierkurse in ALGOL 60 auf der PERM besucht, einem Röhrenrechner, der heute im Deutschen Museum steht. Zudem sammelte er als Werkstudent bei AEG in Frankfurt praktische Erfahrungen, wo er während der Semesterferien in FORTRAN programmierte.
Es folgten zehn Jahre bei Siemens in München. Dort setzte Sommer sich für die Programmiersprache Pascal ein und entwickelte Compiler, die zeitweise als Siemens-Produkte kommerziell vertrieben wurden. Besonders hervorzuheben ist sein erfolgreicher Versuch, einen solchen Compiler in eine benutzerfreundliche Oberfläche zu integrieren – eine bemerkenswerte Leistung im Großrechnerumfeld jener Zeit. Später beschäftigte er sich auch mit frühen Workstations und lokalen Netzwerken.
1984 wechselte Sommer an die Universität Marburg, wo er das Fachgebiet Informatik innerhalb des Fachbereichs Mathematik aufbaute. Am 1. Oktober 2014 trat er in den Ruhestand.
Interview mit Manfred Sommer im Dezember 2013 / Podcast 27 Minuten