Prof. Dr. Manfred Sommer / 1945 – 2023

MANFRED SOMMER 2019: „Ich meine, über kurz oder lang wird alles, was technisch machbar ist, auch tatsächlich umgesetzt. Ob das gut oder schlecht ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich denke jedenfalls, dass der Austausch von Meinungen im Internet immer einseitiger wird. Das ist sicherlich eine Tatsache. Und dass dies verschiedene Rückkopplungseffekte hat, ist auch klar.

Aber um es mal ins Unreine zu sagen: Die Gefahr des Missbrauchs des Internets ist in den letzten 20 Jahren stark gestiegen. Es bräuchte eigentlich eine Art ethische Mindestnorm, um Auswüchse zu vermeiden. Wer diese ethischen Prinzipien vermitteln soll oder wie umfassend sie gelehrt werden müssten, kann ich jetzt spontan nicht sagen. Aber aus meiner Sicht gehört das jedenfalls zu allem, was mit Informatik und Internet zu tun hat: Es sollten gewisse ethische Grundsätze vermittelt und sichtbar gemacht werden.“

Prof. Dr. Manfred Sommer im Interview mit Rainer Lind im Dezember 2019

MANFRED SOMMER 2019: „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die das Internet in seiner jetzigen Form erfunden haben, ursprünglich davon ausgingen, dass es ein freiwilliges Netz unter „guten Leuten“ wäre. Sie dachten nicht daran, dass praktisch jeder – und damit auch „böse Geschichten“ – Zugang dazu haben könnte. Damit haben sie schlicht nicht gerechnet.

Und genau das ist jetzt ein Problem. Wenn man beispielsweise kriminelle Aktivitäten im Internet sieht, merkt man schnell, dass es für die Täter Möglichkeiten gibt, Server irgendwo zu verstecken, wo niemand Zugriff hat. Dort sammeln sie Dinge, die sie nicht sammeln sollten, oder verbreiten Informationen, die nicht verbreitet werden sollten. Solche Möglichkeiten sollten eigentlich abgeschafft werden – wie das jedoch konkret gehen soll, weiß ich auch nicht.

Ein Patentrezept habe ich dafür nicht. Ich bin auch der Meinung, dass ein vollständig kontrolliertes und überwachtes Internet keine Lösung wäre. Aber dass das Internet so vollkommen frei bleibt wie früher, ist auf Dauer sicher nicht sinnvoll. Es müsste irgendeine Art Kontrollmöglichkeit geben, um Beleidigungen oder kriminelle Inhalte aller Art auszuschließen.

Außerdem sehe ich die Gefahr, dass die großen Monopole – wie Google, Amazon und ähnliche Unternehmen – eine immense Macht haben, die Weltöffentlichkeit zu beeinflussen, sei es positiv oder negativ.

Stellen Sie sich vor, ein Internetgigant würde sich dafür einsetzen, eine extrem rechte oder linke Ideologie zu unterstützen. Diese Macht könnte dann die Zustimmung für eine solche Richtung erheblich steigern.

In Bezug auf meine Enkelin denke ich, dass meine Fantasie dafür gar nicht groß genug ist. So schnell, wie sich die Welt in den letzten 20 Jahren verändert hat, wird sie sich bis dahin wieder völlig anders darstellen. Vor 15 Jahren hatte niemand ein Smartphone, und heute besitzen Milliarden Menschen eines. Sie erledigen damit alles, was man früher auf einem Computer gemacht hat.

Ich habe keine Ahnung, was in weiteren 15 Jahren sein wird – vielleicht laufen dann alle mit künstlicher Intelligenz herum oder etwas Ähnlichem. Aber wovor genau ich Angst haben müsste, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht.“

Manfred Sommer wurde am 13. Januar 1945 geboren. Von 1950 bis 1955 besuchte er die Grundschule in Frankfurt, anschließend das Gymnasium in Königstein im Taunus. Sein Studium begann er 1964 in Göttingen, wo er bis zum Vordiplom 1966 Mathematik studierte, und setzte es bis 1969 in München fort, wo er sein Diplom abschloss.

In dieser Zeit wurde an der TU München das erste deutsche Institut für Informatik gegründet. Von 1969 bis 1974 war Sommer dort Assistent und beschäftigte sich intensiv mit der damals noch neuen Disziplin Informatik. Er arbeitete vor allem mit ALGOL 68 auf einem Rechner namens TR4. Bereits während seines Studiums hatte er Programmierkurse in ALGOL 60 auf der PERM besucht, einem Röhrenrechner, der heute im Deutschen Museum steht. Zudem sammelte er als Werkstudent bei AEG in Frankfurt praktische Erfahrungen, wo er während der Semesterferien in FORTRAN programmierte.

Es folgten zehn Jahre bei Siemens in München. Dort setzte Sommer sich für die Programmiersprache Pascal ein und entwickelte Compiler, die zeitweise als Siemens-Produkte kommerziell vertrieben wurden. Besonders hervorzuheben ist sein erfolgreicher Versuch, einen solchen Compiler in eine benutzerfreundliche Oberfläche zu integrieren – eine bemerkenswerte Leistung im Großrechnerumfeld jener Zeit. Später beschäftigte er sich auch mit frühen Workstations und lokalen Netzwerken.

1984 wechselte Sommer an die Universität Marburg, wo er das Fachgebiet Informatik innerhalb des Fachbereichs Mathematik aufbaute. Am 1. Oktober 2014 trat er in den Ruhestand.

Interview mit Manfred Sommer im Dezember 2013 / Podcast 27 Minuten


MANFRED SOMMER 2013: „Ich meine, wenn Sie bedenken, dass vor rund 150 Jahren die Leute ihre Uhren dadurch gestellt haben, dass sie mit dem Zug von einem Ort zum anderen gefahren sind. Eine andere Möglichkeit, Uhren zu vergleichen, gab es gar nicht. Und bevor die ersten Züge kamen, liefen die Uhren überall unterschiedlich. Da konnte man nicht sagen: „Wir haben in Zürich und in Frankfurt dieselbe Zeit.“ Unter Umständen liefen die Uhren völlig verschieden, weil – wie hätte man sie synchronisieren sollen?
Und dann kamen die Züge, und die Leute hatten erstmals die Gelegenheit, in relativ kurzen Abständen ihre Uhren zu vergleichen. Es gab Fahrpläne, und es wurde wichtig, eine definierte Uhrzeit zu haben, damit klar war, wann ein Zug wirklich abfährt. Wenn Sie dann einen Sprung von 100 Jahren machen: Damals dauerte es Tage, bis eine Nachricht irgendwohin gelangte. Wenn beispielsweise in Amerika etwas passierte, dauerte es eine Woche, bis es sich in Europa herumgesprochen hatte. Heute hingegen steht es in Sekundenbruchteilen im Internet. Wir sind einfach sehr schnelllebig geworden.
Ein Freund von mir, ein Wirtschaftshistoriker, hat ein Buch darüber geschrieben, wie sich die Zeit im Laufe der letzten Jahre, Jahrhunderte und Jahrzehnte unheimlich beschleunigt hat. Prozesse, die früher viel langsamer abliefen, haben sich rasant entwickelt. Heute geht alles sehr schnell, und man kann mit jedem sofort kommunizieren. Früher schrieb man einen Brief, der drei Tage später ankam, und sechs Tage später hatte man eine Antwort. Heute bekommt man innerhalb von Sekunden eine Antwort auf alles, was man wissen möchte.
Gleichzeitig verbreitet sich auch alles, was man über eine Person sagt, in Sekundenbruchteilen. Denken Sie an diese Affären, bei denen systematisch eine Art Treibjagd auf bestimmte Menschen gemacht wird – ob zu Recht oder Unrecht, das will ich gar nicht diskutieren. So etwas ist nur in unserer gegenwärtigen Kommunikationsstruktur möglich, in der alle sofort erreichbar sind und jeder sich darauf stürzt. Plötzlich steht jemand auf der Abschussliste. PENG!“

Manfred Sommer 2019
Manfred Sommer 2013

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